Tut es nur mir „weh“ dieser Tage in die Zeitungen zu schauen oder Nachrichten im TV anzuschalten? Jeden Tag aufs neue sehe ich da Artikel, Kolumnen, Kommentare, die überwiegend gleichmütig in das selbe Horn blasen: „Naja die Griechen… die brauchen wir eigentlich nicht in der EU.“ Die Speerspitze bildet dabei – nicht verwunderlich – die BILD-Zeitung und deren Redakteure, die anscheinend jegliches menschliche Moralempfinden mit der Unterschrift unter ihren Arbeitsvertrag in die Tonne getreten haben.
Ich lese Statements von Politikern, die ohne mit der Wimper zu zucken erklären, dass eine EU auch ohne Griechenland funktionieren würde. Die Opposition kommt kaum zu Wort oder wird nicht ernst genommen. Wir erleben gerade live und in Farbe und mittendrin, wie eine Demokratie mit verschwindend kleiner Opposition funktioniert, die von den Medien entsprechend wenig gewürdigt wird – nämlich ganz beschissen.
Regelmäßig klagen wir alle über die da oben, über Politiker die keine Ahnung haben und keinen Arsch in der Hose gegen die Bosse aus der Wirtschaft vorzugehen. Wir klagen über diese Wirtschaftsbosse, die nur ihren eigenen Profit sehen und die Menschen ausbeuten. Und was machen wir in Bezug auf Griechenland? Wir verlassen uns auf das, was uns sog. „Wirtschaftsexperten“ sagen, die zu Beginn eines Jahres damit beschäftigt sind, Prognosen zu machen und gegen Ende des Jahres diese zu korrigieren und anzumerken, dass man mit Ereignis A, B und C nicht gerechnet habe. Macht das Sinn?
Wir trauen unseren Politikern nur selten wirklich etwas zu, so sind wir oft der Meinung, dass die doch alle keine Ahnung vom wahren Leben haben – und dennoch trauen wir ihnen jetzt ohne Widerworte zu, dass sie ganz genau wissen, wie die Griechen zu handeln haben, um ihre Krise zu beenden. Ganz ohne Widerworte, ohne zu hinterfragen, wie wir es gewohnt sind, wenn uns Ärzte Medikamente verschreiben. Politiker, die in Deutschland leben, die Griechenland nur von Staatsbesuchen kennen – die aber genau wissen, wie man den Hellenen helfen kann? Wäre das nicht so, als würde eine Unternehmensberatung in eine Firma kommen und diese umkrempeln? Ist es nicht genau das, was wir tagtäglich bescheuert finden, weil die Berater doch angeblich gar keine Ahnung haben, wie die Firma wirklich funktioniert? Sind wir wirklich so doof?
Wir verlassen uns auf das, was uns die Medien vorsetzen, die derzeit alle ziemlich einmütig nur über die wirtschaftliche Komponente der Krise in Griechenland, der Krise der EU schreiben. Wir vertrauen hier den Medien, denen wir eigentlich – laut wiederkehrender Umfragen – nicht vertrauen. Insbesondere der Berufsstand der Journalisten ist einer derer, die eigentlich wam wenigsten Vertrauen genießen – Stichwort „Lügenpresse“.
Wir machen es uns allen furchtbar einfach. Wir schauen nur auf Zahlen, was uns die Griechen „kosten“. Wir schauen aber auch nur auf den Zahlenausschnitt, den wir aktuell vorgehalten bekommen. Wir schauen nicht darauf, wie es zu diesen Zahlen kam – das könnte vielleicht unangenehm werden, für uns.
Wir machen es uns einfach, in dem wir das Menschliche vollkommen ausblenden. Wir stellen uns hin, als hätten wir die Wahrheit und die Weisheit mit Löffeln gefressen. Großkotzig und mit all dem uns zur Verfügung stehenden Stolz, mit verschränkten Armen auf dem Kissen am Fenster stehen wir da, nach vorne gebeugt in der dritten Etage und maulen in unseren vergilbten Unterhemden die Griechen unten auf der Straße an: „Watt machst du denn da?! So geht datt ja wohl nicht!“.
Es ist derzeit so schön einfach, sich für etwas besseres zu halten. Was wäre, wenn uns die anderen europäischen Nationen nach dem zweiten Weltkrieg so gegenüber gestanden hätten? Wir haben den Völkermord angezettelt und wir haben ihn verloren – dennoch wurde uns, wurde den Menschen geholfen. Es wurde unterschieden zwischen Machthabern und Volk. Wir sind derzeit dazu nicht in der Lage. Wir blicken herab auf die Pleitegriechen, statt die zu verurteilen, die die Fehler gemacht haben, die ausgebeutet haben – die Politiker und die „Wirtschaftsbosse“. Wir lästern abends beim Grillen mit unseren fetten Steaks, Würsten und Bieren über zu hohe und zu frühe Renten – als hätte das griechische Volk sich diese selber auferlegt – als hätten sie diese Renten ablehnen sollen. Hätten wir das gemacht? Gibt es irgend wen unter uns, der freiwillig die „Herdprämie“ ablehnt? Und wir beschäftigen uns damit, ob wir denn noch ohne Sorge um unser Geld nach Griechenland in Urlaub fahren können. Was wir tun können, wenn uns die Banken dort den Zugang zum Geld verweigern sollten? Sind wir wirklich so gefühlskalt? Es geht uns so gut, vernebelt das den Blick auf Nächstenliebe und Respekt gegenüber denen, die Hilfe brauchen?
Wieso sind wir so? Warum sind wir so geworden, warum lassen wir zu, dass Finanzjongleure und Politiker den Ton angeben, die Richtung bestimmen, die Harmonie in Europa so beschädigen und das ganze Projekt gegen die Wand fahren? Wir haben uns für eine Europäische GEMEINSCHAFT entschieden, das bedeutet Zusammenhalt, Vergebung und Unterstützung. Es bedeutet auch Kritik und Sanktionierung. Aber es bedeutet eben nicht Verachtung oder Verstoßung – insbesondere nicht Verstoßung eines Volkes, dass unter den Fehlern der Politiker, Bänker und Wirtschaftsbosse leidet.
Was passiert eigentlich, wenn wir mal wieder in eine nationale Notlage geraten? Werden uns die anderen dann helfen? So wie wir uns gerade benehmen, wie eine gigantische, ungepflegte Sau mitten auf der Tanzfläche, die allen versucht zu sagen, wie sie ihre Füße zu bewegen haben? Ist es allein unter dem Aspekt, dass wir irgendwann sicherlich auch nochmal auf externe Hilfe angewiesen sein werden sinnvoll, dass wir derzeit all die Demut vermissen lassen, die angebracht wäre?
Aber über allem steht eigentlich die wichtigere und entscheidende Frage: Wieso gehen wir so mit unseren Nachbarn und Mitmenschen um?
2012 hat die EU den Friedensnobelpreis erhalten – verdient hat sie ihn so aber nicht.