Scheiß Verlogenheit!

Ich bin es leid, ich bin es einfach wirklich Leid. Als vor einigen Jahren Robert Enke Selbstmord begangen hat, waren sich alle einig, dass etwas geschehen muss in der Fanszene, beim Umgang der Medien mit Fußballern – dass mehr Menschlichkeit in das Geschäft einkehren muss. Nach nur wenigen Wochen, war das Thema erledigt, es ging weiter wie vor dem Vorfall.

Das kann man jetzt gerechtfertigter weise beklagen, man kann sich aber auch einfach der Wirklichkeit stellen, dass im Leistungssport/Publikumssport nicht sehr viel Platz ist für Gefühle, Empathie, Nachsichtigkeit insb. bei Misserfolg usw. Ich will mich ja auf der Tribüne auch über Fehlpässe, Fehlschüsse usw. ärgern und ich will auch jubeln und schmähen. Dann immer abzuwägen, ob und wie viel man aus sich heraus geht, um niemandem damit weh zu tun… Humbug.

Jetzt hat Thomas „The Hammer“ Hitzlsperger verkündet, dass er schwul ist – ich finde übrigens den Begriff „Outing“ viel zu negativ besetzt. Und sofort geht die Medienmaschine los: Was dieses Statement jetzt alles verändern wird, dass Schwulsein jetzt auch in der Fußballgemeinschaft angekommen ist usw. Ich halte das aber alles für verlogenen Mist.

Es ist zurzeit doch nur ein Auftürmen sozialer Erwünschtheit Deluxe zu spüren. Klar sagt jetzt kein Mensch, dass der Hitz „krank“ sei, dass Schwulsein nicht in den Fußball gehört oder gar in die Gesellschaft usw. Klar, etwas ungünstig – aber auch demaskierend – kommt da das Votum eines Teils der baden-württembergischen Bürger daher, die sich gegen Homosexualität als Unterrichtsthema ausgesprochen haben – von dem greisen Nobbi Blüm will ich hier erst gar nicht anfangen.

Aber gerade von amtierenden Politikern und den Medien erwarte ich mehr. Die dürfen sich ihre Kommentare und Jubelarien auf den ehemaligen Nationalspieler gerne in ihren wertlosen Koalitionsvertrag reinpinseln!  Wie mein Vater immer sagt: „nicht denken, machen!“, kann man hier auch sagen, nicht die Luft mit wertlosen Worthülsen verpesten, sondern jetzt Initiativen, Gesetze, Regelungen anstoßen !

Und die Medien haben die Aufgabe, statt jetzt abzufeiern wie super die Aktion von Hitzlsperger ist, auch mal bei den Politikern nachzufragen, welche Konsequenzen ihre Zustimmung für Deutschland praktisch haben kann. Sie könnten zum Beispiel in der CDU und CSU mal nachhorchen, ob denn zumindest Herr Hitzlsperger jetzt genauso „einfach“ wie heterosexuelle Paare Kinder adoptieren darf. Oder ob (s)eine schwule Ehe/Lebenspartnerschaft, denn nun doch bald den gleichen Stellenwert erfahren darf, wie die heterosexuelle. Aber komischerweise wird das nicht gefragt, es wird einfach nur abgefeiert. Das ist einfacher, da kann man schön die Kommentarspalten mit füllen und hat nicht viel Arbeit.

Aber die aktuelle Party ist doch im höchsten Maße uninteressant. Denn in ein bis maximal zwei Wochen, ist das Thema durch und der Anlass zu Veränderungen verpufft. Ob das im Sinne von Hitzlsperger ist? Der, der selber sagt, er versuche mit seinem „Outing“ auf die Misstände in Russland hinzuweisen?

Und was ist eigentlich mit der Winter-WM in Katar? Nicht nur, dass da Arbeiter anscheinend sklavisch gehalten werden, nein, die FIFA bittet doch ernsthaft darum, dass schwule Paare, wenn sie die WM besuchen aus Respekt vor dem Land, von homosexuellen Aktionen absehen sollen. Und Katar möchte vor die Einreise zum Turnier einen Schwulentest schalten (das ist hoffentlich nur eine sehr bekloppte EInzelidee von einem Spinner). Wo ist jetzt der DFB, die DFL, die Hitzlspergers Aussage zum Anlass nimmt, auf diese Missstände hinzuweisen und Änderungen zu verlangen?

Wir sind doch irgendwie eine Scheiß-Gesellschaft. Ein Club voller Weltverbesserer und Laberer, die aber keinen Bock haben, tatsächlich aktiv zu werden und diese Welt wirklich faktisch ein bisschen besser zu machen. Aber toll, ich weiß jetzt, dass Thomas Hitzlsperger schwul ist – kein bisschen mehr und kein bisschen weniger.

One Comment

  1. das sehe ich jetzt erstmal überhaupt nicht so.

    klar würde ich mir auch wünschen, dass sich verhaltensänderungen daraus ableiten, wie zb gesetze, und da dürfen auch die die medien gerne direkt nachfragen. katar sowieso, auch ohne schwulendebatte.

    allerdings finde ich überhaupt ganz und gar nicht, dass dies ganze nur gelaber ist. („Aber toll, ich weiß jetzt, dass Thomas Hitzlsperger schwul ist – kein bisschen mehr und kein bisschen weniger.“)

    tiefgreifender wandel hat auch immer etwas mit überzeugen und -zumindest häufig- „steter tropfen höhlt den stein“ zu tun. dafür gibt es unzählige großartige beispiele, insbesondere in der geschichte der schwulenbewegung:
    * anfaenge der bewegung in der castro street — die haben am anfang auch nur „einfach ungeniert“ gezeigt, dass es sie gibt
    * christopher street day — natürlich hier schon eher mit klaren forderungen, aber auch sehr viel „wir sind hier und gehen nicht weg“, „wir sind viele“ & „wir sind euer nachbar, euer arzt, euer bankangestellter, euer ..“
    * die „zwangs“outings von prominenten deutschen durch rosa von praunheim (verstaendlicherweise kann man das durchaus schlimm finden) — der wollte auch nur zeigen: „seht her, es sind viele leute, die ihr aus fernsehen, prominenz usw. sogar liebt!“

    und jetzt versetze dich in die zeiten, als das o.g. losging: castro (ende 1960), CSD (1970), praunheim outings (1991!!!) — was hat sich seitdem nicht alles getan zu dem thema? ich bin überzeugt davon, dass die öffentliche präsenz der schwulen daran den allergrößten anteil hat – nicht politiker, medien oder sonstwer, der das aufgebracht und durch die instanzen gebracht hat… nein, sondern beispiele von erfolgreichen, prominenten, und „ganz normalen schwulen von nebenan“, die auf einmal da waren.

    übrigens gab es die debatte über sotschi und russische schwulendiskriminierung bereits vorher. aber ich bin mir sehr sicher, dass nun viel, viel mehr leute, die vielleicht auch einen geringeren bildungshintergrund und informationsdrang haben als du und andere, nun von dem thema gehört haben.

    trotzdem muss man nun nicht in träume verfallen, die von sotschi oder katar-absage handeln. genausowenig muss man aber auch in generalkritik verfallen und vermeintliche apathie, verlogenheit und bequemlichkeit anprangern.

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