[Ironie an] Ich mag die Fähigkeiten der Medien, vorherzusagen, wieviele Menschen einem Event am TV beiwohnen werden. So gibt es schon vor dem Finale der Champions League, vor dem Superbowl usw. ziemlich genaue Prognosen, wieviele Menschen einschalten werden. Bei der Eröffnungsfeier waren bzw. sollten es 4 Milliarden Menschen sein. Und alle so: Boooah! [Ironie aus]
Bei diesen Glaskugelprognosen denk ich mir jedesmal „Woher wissen die das im Voraus, verflucht!?“ und „Nö, glaub ich nicht!“ – weil ich natürlich total schlau bin. Die Autoren der Website „sportingintelligence“ sind noch viel schlauer als ich und haben viel mehr Lust darauf, aus ihrem Glauben ein Wissen herzurecherchieren und herzuleiten. Lukas Heinser von Bildblog hat das gefunden und zitiert die Seite eingedeutscht. Das ist sehr lesenswert und darum zitiere ich Heinser, wie er sportingintelligence zitiert. Die Webseite hat nämlich erklärt, warum es totaler Quatsch ist zu behaupten, dass 4 Milliarden Menschen die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ansehen würden.
Die Welt hat sieben Milliarden Bewohner, die in 1,9 Milliarden Haushalten leben, welche durchschnittlich 3,68 Mitglieder haben. Von diesen 1,9 Milliarden Haushalten haben nur 1,4 Milliarden einen Fernseher, geschweige denn Internet. Es sind die ärmeren Haushalte, die dazu neigen, keinen Fernseher zu haben, und sie haben auch die größeren Haushalte. Also haben etwa 2,5 Milliarden Menschen keinen Zugang zum Fernsehempfang.
Wir müssen auch die Zeit in Betracht ziehen, zu der die Londoner Zeremonie stattfinden wird: zwischen 20 Uhr und Mitternacht britischer Zeit. Asien wird schlafen, denn es wird mitten in der nacht sein. 4,1 Milliarden der Weltbevölkerung leben in Asien. Die allermeisten von ihnen werden nicht zuschauen. Das belegbar meist gesehene Ereignis der Menschheitsgeschichte – und das bis heute einzige “echte Milliarden”-Ereignis – war die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in Peking 2008. Die “durchschnittliche” Zuschauerzahl (jene, die die vierstündige Veranstaltung in voller Länge gesehen haben) lag bei 593 Millionen Menschen, viele davon in der Gastgebernation China, dem bevölkerungsreichsten Land der Erde. Chinas 1,3-Milliarden-Bevölkerung war der Grund, warum die Veranstaltung so populär war.
In Großbritannien, zum Beispiel, haben nur 5 Millionen Leute die gleiche Veranstaltung verfolgt. Insgesamt haben 984 Millionen Menschen in aller Welt die Eröffnung der Spiele 2008 am heimischen Fernseher eingeschaltet und die Differenz von 16 Millionen, die zur Milliarde fehlt, wurde fast sicher durch die Leute erreicht, die rund um die Welt an öffentlichen Plätzen zugesehen haben. Die eine Milliarde, die die Feier in Peking verfolgt haben, war einmalig hoch, weil es so eine wichtige Sache im Gastgeberland war, das eine einmalig hohe Bevölkerungszahl hat.
Es ist eine große, glatte Zahl, also lieben die Medien sie, und es steht überall — aber werden wirklich vier Milliarden Menschen die Olympische Eröffnungsfeier sehen? In einem Wort: nein. In ein paar Worten mehr: natürlich nicht, wie nach nur einem Moment Nachdenken klar sein sollte.
Es ist die eine Sache, dass Medien natürlich nur schwerlich die einzig wahre Realität abbilden können, sondern stets nur einen Ausschnitt und dementsprechend logischer Weise verzerren. Es ist aber eine andere Sache, wenn man seine Nutzer mit Anlauf und Vollspann ins blanke Gesicht veräppelt. In meinen Augen untergraben die Medien auch durch so einen überflüssigen Stumpfsinn ihre Glaubwürdigkeit – neben Werbeeinnahmen wohl ihre wichtigste Währung.
Und es ist doch eigentlich auch nicht die Aufgabe von Medien Hypes zu konstruieren. Es ist insbesondere die Aufgabe der Medien unsere Politiker inhaltlich zu „kontrollieren“. Ob diese nämlich Mist verzapfen, sollen die Medien herausfinden und anprangern. Wenn die Medien aber selber bewusst – oder weil wie ein dummer August Dinge nachplappern – ihre Integrität untergraben, dann kann das nicht gut sein oder nicht zielführend… oder wie man es auch immer sagen will.
Das Schlimme ist auch, dass es hier eigentlich kein Zurück zu einer realistischeren Spiegelung der Welt mehr gibt. Sollen das nächste „Großereignis“ etwa nur eine realistisch progonstizierte Anzahl Menschen anschauen? Wäre das nicht schon wieder ein Skandal? Müssten da nicht Organisatoren und Regisseure zurücktreten, weil sie plötzlich so viel weniger prognostizierte Menschen erreichen? Tja… verkackt, würd ich sagen, aus der Nummer kommen wir nicht mehr raus. Freuen wir uns also auf das nächste Event bei dem ganz bestimmt 4,1 Milliarden Menschen (nicht) einschalten werden.